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Über Hummeln ohne Zukunft

Folgen von Pestiziden und problematische Zulassungs­verfahren

ein Bauer mit einem Traktor der ein Maisfeld bearbeitet

Passt dazu:

Mitte Dezember 2023 läuft in der EU die Zulassung für das um­strittene Herbizid Glyphosat aus. Ob die Zulassung um weitere fünf Jahre verlängert wird oder nicht, ist derzeit unklar. Ein­schätzungen der dafür relevanten Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sehen darin eher kein Problem.1

Dabei hat beispielsweise die Biologin Dr. Anja Weidenmüller von der Universität Konstanz nachgewiesen, dass Hummeln, die Gly­phosat durch Nahrung (Nektar oder Pollen) auf­nehmen, er­heblich in ihrem Verhalten verändert werden: „Hummeln brüten wie Vögel ihren Nachwuchs in den Nestern aus. Tem­peratur­regelung ist also überlebens­wichtig. Ich konnte zeigen, dass Glyphosat, ein seit 40 Jahren weltweit in Riesen­mengen ver­wendetes Herbizid, diese Regulierung stört.2 Und das obwohl es als ungefährlich für Bestäuberinsekten ein­gestuft ist. Hummeln können ihre Brut aber nicht mehr auf Temperatur halten. Das klingt eventuell erstmal nach einem unscheinbaren Effekt. Als Konsequenz entwickeln sich die Kolonien aber viel langsamer, sind am Ende des Sommers deutlich kleiner als unbelastete und können so oft auch keine neue Königin pro­duzieren. Die Kolonie hat damit keine Zukunft“, betont sie.

Eine enorme Herausforderung sieht die Wissenschaftlerin in den Zulassungs­prozessen von Pestiziden: „Wir wissen oft sehr wenig über die Konsequenzen des Einsatzes von Pestiziden auf die Umwelt. Das liegt zum Teil daran, dass die Zulassungs­verfahren, die neue Produkte oder Wirkstoffe durchlaufen müssen, Toxizitäts­tests sind“, erklärt Frau Dr. Anja Weidenmüller.

Auch die Heinrich Böll Stiftung kritisiert dieses Nachweisverfahren, um Pflanzenschutzmittel auf den Markt zu bringen: „Die indirekten Folgen auf Nahrungsketten und Biodiversität sowie der schwer kalkulierbare Effekt von Pestizidmischungen finden kaum Be­achtung.“3

Eine enorme Herausforderung sieht die Wissenschaftlerin in den Zulassungsprozessen von Pestiziden: „Wir wissen oft sehr wenig über die Konsequenzen des Einsatzes von Pestiziden auf die Umwelt. Das liegt zum Teil daran, dass die Zulassungs­verfahren, die neue Produkte oder Wirkstoffe durchlaufen müssen, Toxizitäts­tests sind“, erklärt Frau Dr. Anja Weiden­müller.
Wärmebild der separierten Kolonien: links mit Glyphosat behandelt, rechts ohne Behandlung.
Abbildung: Uni Konstanz, Bild: Anja Weidenmüller2
Auch die Heinrich Böll Stiftung kritisiert dieses Nachweis­verfahren, um Pflanzenschutzmittel auf den Markt zu bringen: „Die indirekten Folgen auf Nahrungsketten und Biodiversität sowie der schwer kalkulierbare Effekt von Pestizid­mischungen finden kaum Beachtung.“3

Was sind Toxizitätstest?

Je nach Studiendesign wird in der Regel an gesunde Insekten wie Honigbienen eine zu testende Substanz mit Zuckerwasser verfüttert. Nach 24 oder 48 Stunden erfolgt die Zählung, wie viele Individuen einer Testgruppe gestorben sind. Wenn diese Zahl sich nicht signifikant von einer zweiten Gruppe unter­scheidet, die nur Zuckerwasser bekommen hat, dann gilt dieses Produkt als nicht toxisch und wird zugelassen.

„Viele dieser Produkte haben allerdings ganz erhebliche Aus­wirkungen, zum Beispiel aufs Verhalten, und diese Effekte werden in der derzeitigen Risikoabschätzung und den Be­wertungs­­verfahren nicht erfasst“, kritisiert Frau Dr. Weiden­müller.

Sie fordert, die Zulassungsverfahren zu erweitern, um auch so­genannte subletale, also nicht direkt tödliche Effekte in den Kriterienkatalog aufzunehmen. Und die Forderung scheint unter Berücksichtigung aktueller Zahlen dringender denn je.

Der Weltnaturgipfel hat in Montreal zwar Ende 2022 be­schlossen, den Einsatz von Pestiziden zu halbieren,4 gleich­zeitig ist in 2022 der Absatz von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland nach Angaben des IVA allerdings nicht zurück­gegangen, sondern um 18,8 Prozent gestiegen.5

Dazu passt auch die Einschätzung der Heinrich Böll Stiftung von Anfang 2022, dass in Deutschland wenig Bewegung beim Einsatz von Pestiziden zu beobachten ist. Lediglich Preisschwankungen und Wetterbedingungen hätten Einfluss, wie viel in den letzten 25 Jahren umgesetzt wurde. In Deutschland wären das stabil zwischen 27.000 und 35.000 Tonnen Pestizide pro Jahr.6 „Und der Rück­gang an Biodiversität ist so dramatisch, das passiert im Stillen“, hebt Frau Dr. Weiden­müller hervor.

Bereits 2017 belegte eine Studie nieder­ländischer, deutscher und britischer Wissenschaftler*innen, dass in weiten Teilen Deutschlands die Zahl der fliegenden Insekten tatsächlich dramatisch abge­nommen hat. Die Masse der Insekten ist laut den Forschenden seit 1989 um durch­schnittlich 76 Prozent zurückgegangen.7 Mit allen Konsequenzen für die Nahrungs­ketten und Bestäubungsvorgänge.

Bessere Verfahren, mehr Rückzugsraum

Einen Weg zum Schutz der Biodiversität sieht Frau Dr. Weiden­müller in besseren Zulassungs­verfahren für agrar­chemische Produkte: „Parasitenfreie, wohlgenährte Test­exemplare sind einfach nicht repräsentativ für die Wild­bienenpopulation. Hier braucht es bessere Ansätze, genau wie der Toxizitätstest absolut keine Aussagen zu subletalen Faktoren zulässt. Ver­haltens­relevante Aspekte wie die Fort­pflanzungsfähigkeit müssen dringend mit untersucht werden.“

Darüber hinaus können unbelastete Schutz­flächen und Rück­zugsräume Erholungs­potenzial bieten. Dazu sollen, wie sich die Bundesregierung schon 2021 verpflichtet hat, bis 2030 weltweit 30 Prozent der Land- und Meeresflächen geschützt werden. Schon 2022 stellte die EU-Kommission, auf Grundlage der wegfallenden Weizenexporte durch den Ukraine-Krieg, diese langfristigen Ziele wieder in Frage. So wurde die Bewirtschaftung von ökologischen Vorrang- und Brachflächen auch unter Einsatz von Pflanzenschutzmittel gestattet,8 die eigentlich zur Förderung der Artenvielfalt dienen sollen.

Es ist ein mühsamer, aber lohnenswerter Weg, die Biodiversität zu schützen. Viele kleine Aktionen wie Wildblumenwiesen in Parks und Gärten leisten einen Beitrag. Wesentlich effizienter wäre da allerdings eine Neuausrichtung auf EU-Ebene, da fast 40 Prozent der Fläche landwirtschaftlich genutzt wird. In Deutschland sind es sogar über 50 Prozent.9

Abbildung: Statistisches Bundesamt 2022, FS 3 Land-und Forstwirtschaft, Fischerei, R. 5.1 Bodenfläche nach Art der tatsächlichen Nutzung 20219

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